Eine gesunde Arbeitsgestaltung ist human!

Eine gesunde Arbeitsgestaltung ist human!

Gesundheitliche Folgen durch Arbeitslosigkeit

Wenn derzeit in den Medien über Arbeit gesprochen wird, dann in erster Linie über die hohe Arbeitslosigkeit in Österreich. Das ist angesichts der coronabedingten Jobverluste nachvollziehbar und definitiv ein Thema, welches uns noch länger begleiten wird. Dabei wird es sehr zentral sein, dass hierzu wirksame und auch kreative Maßnahmen getroffen werden um eine Massenlangzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Denn länger andauernde Arbeitslosigkeit hat ernstzunehmende Folgen für die psychische, aber auch für die körperliche Gesundheit. Neben diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, steigert Arbeitslosigkeit das Risiko einer Scheidung oder sogar früher zu sterben.

Die Arbeitslosigkeit in Österreich liegt mit Stand März 2021 bei ca. 458.000 Personen (incl. Schulungen beim AMS). Die Tendenz ist zwar rückläufig, allerdings dennoch um ca. 89.000 Personen mehr als noch 2019. Diese erhöhte Arbeitslosigkeit (im internationalen Vergleich ist diese Quote dennoch ganz passabel) wirkt sich jedoch nicht nur auf die Wirtschaft und das Geldbörserl der Menschen in Österreich aus, sondern auch auf deren Gesundheit. Und die Gesundheit im Brennpunkt der Arbeit ist auch der Schwerpunkt dieses Beitrages.

Arbeiten soll nicht krank machen

Allerdings ist die Entwicklung von arbeitskontextbezogener körperlicher und psychischer Erkrankungen nicht nur durch Arbeitslosigkeit gegeben. Denn auch Arbeit selbst kann krank machen. Dabei sollte Arbeit doch vielmehr eine Freude bereiten und sinnstiftend sein. Wie sich die Bedeutung und Wertung der Arbeit aus historischen Blickwinkel gewandelt hat, habe ich bereits am Tag der Arbeit 2020 im Beitrag „Sinn der Arbeit“ erörtert und analysiert, worin ich auch auf die fünf zentralen Bedeutungen der Arbeit nach Marie Jahoda (hat in der Zwischenkriegszeit die bedeutende Feldstudie „Arbeitslosen vom Marienthal“ durchgeführt) eingegangen bin.

Kriterien humaner Arbeitsgestaltung

Doch wie soll Arbeit nun gestaltet werden, dass diese für die körperliche und psychische Gesundheit nicht nur nicht krankmachend, sondern sogar förderlich ist?

Einen sehr zentralen Ansatz dazu bieten die „Kriterien humaner Arbeit nach Hacker und Richter“ (1980), welches auch eine sehr nützliche Grundlage zur Arbeitsanalyse anbietet. Dieses Modell geht von vier Stufen humaner Arbeitsgestaltung aus, welche auch folgerichtig aufeinander aufbauen. Diese vier Stufen möchte ich folgend vorstellen und anhand von Beispielen untermauern:

Humane Arbeitsgestaltung

(1) Ausführbarkeit

Die erste Stufe humaner Arbeitsgestaltung nach Hacker und Richter ist die Ausführbarkeit der Tätigkeit. Damit ist gemeint, ob eine bestimmte Aufgabe überhaupt machbar ist.

Beispiel: Der Bauarbeiter Mario Franz (37) hat auf der Baustelle die Aufgabe, mehrere 100kg Säcke oder Steine zu heben oder an einen anderen Ort zu tragen. Unter Anderem hängt die Durchführbarkeit auch von seiner körperlichen Verfassung ab. Doch auch einen kräftigen Bauarbeiter kann diese Aufgabe an seine Grenzen bringen oder sogar übersteigen. Allerdings kann diese Last so schwer sein, dass diese gar nicht durchführbar ist, weil der 100kg Stein/Sack sich nicht bewegen lässt und somit logischerweise der Auftrag nicht erledigt werden kann.

Empfehlungen: Abhilfe kann hier zum Beispiel ein Hubstapler, Gurtsysteme, ein Kran oder Baustellenroboter schaffen. Wenn keine Hilfsmittel vorhanden sind, dürfen schwere Lasten nur gemeinsam in der Gruppe bewegt werden

(2) Schädigungslosigkeit

Die zweite Stufe humaner Arbeitsgestaltung ist die Schädigungslosigkeit. Damit ist gemeint, dass die ArbeiterInnen bei der Durchführung der Arbeit keine körperlichen oder gesundheitlichen Schäden davontragen. Solche Schäden können sein:

  • Rückenverletzungen durch Heben schwerer Lasten
  • Arbeitsunfälle durch fehlende Sicherheitssysteme
  • Augenverletzungen durch fehlende oder falsche Schutzbrille beim Schweißen
  • Krebs-, Gehirn- oder Lungenschäden durch erhöhte MAK-Werte (siehe Grenzwerte)
  • Entwicklung chronischer körperlicher, psychischer oder psychosomatischer Erkrankungen durch langfristige Fehlbelastungen

Beispiel: Der computeraffiner Programmierer Mohamad (27) arbeitet über die gesetzlich erlaubte Arbeitszeit hinaus an einem wichtigen IT-Projekt. Diese Zeitüberziehung ist seitens der Unternehmensleitung zwar nicht vorgesehen, allerdings ist es dem Programmierer selbst wichtig, das Projekt voranzutreiben. Deshalb sitzt er mehr als acht Stunden täglich vor dem PC. Pausen macht er nur für die notwendigen Grundbedürfnisse wie Toilette, Essen und Trinken. Der kollegiale Austausch erfolgt ebenfalls virtuell, da ihm soziale Kontakte nicht so wichtig sind. All dies hat zur Folge, dass Mohamad zunehmend über Rückenschmerzen klagt. Anfangs sind es nur Verspannungen und ein Schulterschiefstand, doch da die Schmerzen immer stärker werden und er plötzlich leichte Lähmungserscheinungen in den Fingern verspürt, lässt er sich vom Orthopäden durchchecken. Es stellt sich heraus, dass er durch langfristige Sitzfehlbelastung einen Bandscheibenvorfall erlitten hat.

Empfehlungen: Regulierung der Arbeitszeit und Einbeziehung des Betriebsrates, Begehung durch Arbeitsmediziner/Arbeitspsychologen zwecks Prüfung der Arbeitsergonomie, aktives Arbeitsplatzdesign (<– Geheimtipp!), betriebliche Gesundheits- und Fitnessangebote, betriebliche Gesundheitschecks, regelmäßige Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz

(3) Beeinträchtigungsfreiheit

Die dritte Stufe humaner Arbeitsgestaltung ist die Beeinträchtigungsfreiheit. Diese kommt insbesondere dann zu tragen, wenn die Tätigkeit Durchführbar und Schädigungslos ist. Allerdings gibt es eine Form von „Schäden“, welche zwar mit der Zeit wieder verschwinden, allerdings einen beeinträchtigenden Einfluss auf die Körper- und Geistesfunktionen haben. Diese Funktionsstörungen können nicht nur zu Unwohlsein, Konzentrationsschwäche oder Befindlichkeitsstörungen führen, sondern auch zu einer Störung psychophysiologischer Messwerte (EKG, EEG)

Beispiel: Die sehr leistungsmotivierte Büroangestellte Veronika (31) erhält über einen längeren Zeitraum von ihrem Vorgesetzten eine Vielzahl an Aufgaben mit der Bitte diese rasch zu erledigen. Da die Büroangestellte ihre Tätigkeit zur vollen Zufriedenheit des Vorgesetzten durchführen möchte, verzichtet Sie auf Pausen und zeigt eine erhöhte Leistungsbereitschaft, indem sie immer mehr Aufgaben annimmt. Neben den fehlenden Pausen fehlt ihr auch die Zeit um sich mit ihren KollegInnen auszutauschen und durch die viele Bildschirmarbeit hat sie öfters rote und leicht schmerzende Augen. Sie merkt zwar, dass sie häufig müder ist und sich zunehmend schwerer tut sich zu konzentrieren, aber sie kompensiert das zu ihrem eigenen Stolz durch mehr Anstrengung und Überstunden. In letzter Zeit klagt sie häufig über Kopfschmerzen und gestern sogar über Schwindel. Der Betriebsarzt führte ein Ruhe-EKG durch und eine Abnormalität in ihrem Herzrhythmus, welcher auch trotz Atemtechniken nicht aus dem EKG verschwand.

Empfehlungen: Abwechslungsreiche Tätigkeiten, Zuteilung von Arbeitsaufgaben ohne Bildschirm, aktive Bewegungspausen, betriebliche Gesundheitschecks, betriebliches Sportangebot, Teammeetings mit Workloadchecks der Teammitglieder für eine gerechte Arbeitsverteilung, Gesundheitstage im Betrieb, Weiterbildungen und Schulungen um Überforderung in der Tätigkeitsausführung entgegenzuwirken.

(4) Persönlichkeitsförderlichkeit

Während sich die ersten drei Stufen humaner Arbeitsgestaltung mit der Prävention von Erkrankungen und Beeinträchtigungen beschäftigen, baut die vierte Stufe auf der Weiterentwicklung der Angestellten auf. Die Stufe der Persönlichkeitsförderlichkeit widmet sich dem Wachstum der MitarbeiterInnen und dem Erhalt von dessen Kompetenzen. Dies kann durch Weiterbildungen oder durch motivierende sowie stimulierende Arbeitsgestaltungen erfolgen.

Beispiel: Der Angestellte Miguel (43) ist bereits seit 15 Jahren im Unternehmen, gilt als sehr intelligent ist und auch ein Schlüsselmitarbeiter in seiner Abteilung. Vor drei Jahren hätte er die Möglichkeit einer Beförderung zum Abteilungsleiter erhalten, allerdings hat ein jünger und höherer qualifizierter Kollege die Funktion erhalten, obwohl dieser zu diesem Zeitpunkt erst zwei Jahre im Unternehmen war. Dies hat Miguel zwar rasch akzeptiert, allerdings fühlte er sich schon vor der Beförderungssituation in seiner Funktion unterfordert. Laut seinen KollegInnen begrüßt er diese am frühen Morgen täglich mit „Täglich grüßt das Murmeltier“. Miguel findet seine Arbeit mittlerweile monoton und langweilig und entwickelte in den vergangenen drei Jahren einen zunehmenden Zynismus zum Unternehmen. Während er vor einigen Jahren noch mit vielen innovativen Ideen vor KollegInnen und Vorgesetzten glänzte, fällt sein Leistungsabfall bereits vielen im Unternehmen auf.

Doch ein neues unternehmensinternes MitarbeiterInnen-Förderprogramm soll Miguel nun helfen wieder in die Spur zu kommen um seine Begeisterung wieder zu erwecken.

Empfehlungen: Jobrotationprogramme, regelmäßige MitarbeiterInnengespräche, Coachingprogramm für MitarbeiterInnen, umfangreiches internes Weiterbildungsprogramm, Betriebsvereinbarung mit Bildungsfreistellungstagen und Finanzierung von umfassenden Aus- und Weiterbildungen.

Fazit

Nun denn, wer bisher alles gelesen hat, wird sich sicher denken, dass die vier Stufen der humanen Arbeitsgestaltung deutlich mehr Facetten in sich tragen, als ich es durch diese Beispiele veranschaulichen konnte. Allerdings bin ich zuversichtlich, dass du nun einen Eindruck erhalten hast, auf welchen Stufen sich die humane Arbeitsgestaltung aufbauen lässt.

Auch wenn wir uns bereits im Jahr 2021 befinden, gibt es noch eine sehr hohe Zahl an Jobs, in denen sogar die ersten zwei Stufen (Ausführbarkeit, Schadlosigkeit) noch nicht human genug gestaltet sind und sogar als prekär einzustufen sind. Das Potential zur Verbesserung der Arbeitswelt ist jedenfalls immens. Das zeigen nicht nur unzählige Statistiken, sondern hast du eventuell auch schon mal persönlich erlebt.

Denke dabei selbst an deinen eigenen Job und reflektiere:

  • Hattest du in der Vergangenheit eine Aufgabe erhalten, die im Grunde nicht durchführbar war (z.B. weil Informationen fehlten)?
  • In welchen Situationen hast du tatsächlich einen gesundheitlichen Schaden von der Arbeit davongetragen?
  • Wie erging es dir in Arbeitssituationen in denen du Ermüdung, Erschöpfung oder Körperfunktionsstörungen wahrgenommen hast?
  • In welchen Arbeitssituationen hast du Unterforderung und Monotonie ODER Begeisterung und Selbstverwirklichung erlebt?

Weiterführende Quellen:

ORF.at (2021). Knapp 458.000 Menschen im März arbeitslos. Abgerufen am 30. April 2021 unter https://oesterreich.orf.at/stories/3097339/

Schuster, M. (2020). Sinn der Arbeit. Abgerufen am 30. April 2021 unter http://www.mental-blog.com/MentalBlog_Synergy/sinn-der-arbeit/

SOZIAL MOOC // Folgen von Arbeitslosigkeit – Krankheit (5.2) – final. Abgerufen am 30. April 2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=_J2ffL3wHxs

WIKI. Die Arbeitslosen von Marienthal. Abgerufen am 30. April 2020 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Arbeitslosen_von_Marienthal

Hacker, W. & Richter, P. (1980). Psychologische Bewertung von Arbeitsgestaltungsmaßnahmen. Ziele und Bewertungsmaßstäbe. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften

Mario Schuster

Der Gründer und Autor Mario Schuster ist Arbeits- und Sportpsychologe, Sportwissenschafter und ausgebildeter Fachtrainer in der Erwachsenenbildung (nach ISO 17024). Zusätzlich zu seiner Zertifizierung als Arbeits- und Organisationspsychologe ist er Mitglied im ÖBS (Österreichisches Bundesnetzwerk für Sportpsychologie). In seinem ersten Berufsleben war er jahrelang als Sportwissenschafter im Reha- und Gesundheitsmanagement tätig und hat am 1. Jänner 2017 das Unternehmen Mental Synergy gegründet. Mit diesem hat er sich zum Ziel gesetzt, das Training mentaler Kompetenzen in Sport und Wirtschaft zu etablieren. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Brennpunkt Psychologie der Digitalisierung.

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